Wir leben in zwei Welten. Die Welt der Materie, der Ratio, der Wirkungen – und die Welt des Geistes, des Traums, der Ursachen. Raumzeit und Zeitraum. Tonal und Nagual. Über die Annahme unserer ureigenen Schöpferkraft und Selbstverantwortung.
Wir leben in zwei Welten. Die Welt der Materie, der Ratio, des Verstandes, der Wirkungen, der Kausalität – und die Welt des Geistes, des Traums, der Ursachen, der Synchronizität. Raumzeit und Zeitraum. Tonal und Nagual. Wir Menschen sind darin axis mundi, Weltenachse. Wir haben die Fähigkeit im und zwischen dem Physischen und dem Geistigen zu agieren. Unsere Impulse aus dem Geistigen ins Physische zu bringen, zu materialisieren. Das Bewusstwerden dessen und die Fähigkeit wieder fest in beiden Welten verankert zu sein, ist die Annahme unserer ureigenen Schöpferkraft - und Selbstverantwortung.
Das Tonal
Die Welt, wie wir sie kennen, ist die materielle Welt, die Welt der Formen und Konzepte, das Fassbare. In der Quantenmechanik die Raumzeit, im Schamanischen das Tonal. In diese Welt treten wir mit unserer Inkarnation, durch den Schleier des Vergessens. Sie ist die alltägliche Wirklichkeit, die Welt von Raum und Zeit, der Kausalität, der Wirkungen. Obwohl sie uns sehr objektiv erscheint, ist unsere Wahrnehmung davon sehr subjektiv, geprägt beziehungsweise verschleiert durch unsere persönliche, familiäre und kulturelle Geschichte. Und sie ist die Welt der Geschichten. Wir leben in einer Schriftkultur, in der wir Dinge festhalten, Strukturen schaffen.
Das Nagual
Und dann ist da die andere Welt, die Anders-Welt, die geistige Welt. Das Dazwischen, das was Nicht-ist, die große Leere, der Abgrund, das Unfassbare. In der Quantenmechanik der Zeitraum, im Schamanischen das Nagual. Der ungeformte Hintergrund der Welt, die Nicht-Form. Der Raum der UR-sache, des Ursprungs, aus dem alle Form geboren wurde und immer wieder wird. Alle Information über das, was jemals war, ist und sein wird, ist hier gespeichert. Diese Welt zieht sich mit unserer Inkarnation, mit dem Schleier des Vergessens, aus unserer bewussten Wahrnehmung zurück. In dieser Welt passiert alles in einer ständigen, fließenden Bewegung. Die Welt der Synchronizität, des Träumens, ohne Struktur, ohne Festhalten. Sie gleicht einem permanenten Wechsel, Durchschlüpfen durch Portale. In dieser Welt ist Geschichte nicht interessant, denn Zeit verläuft nicht linear. Sie ist die Welt, die wir (zumindest in unserer Kultur) quasi nie bewusst wahrnehmen, die aber immer leise mitläuft – wie man auch sagt ‚the second song of our existence’.
Gleichzeitigkeit zweier Welten
Beide dieser Welten sind immer da, waren immer da. Nur liegt in unserer Kultur heute der Fokus absolut auf der Materie, der stofflichen Welt, den Bewegungen in der Form. In archaischen Kulturen und auch heute noch in den schamanischen und indigenen Kulturen lebt man ganz selbstverständlich in beiden Welten. Die geistige Welt ist so selbstverständlich wie die physische Welt. Zeit ist weniger fix, sie wird als fließender und veränderlicher begriffen, kann vorwärts und rückwärts fließen. Die äußere Gestalt des Menschen in seiner Inkarnation wird als wesentlich subtiler begriffen. Der Mensch, wie alle materielle Form, existiert immer ein zweites Mal, und zwar in diesem höheren Raum. Was wir als Wirklichkeit wahrnehmen ist runtergebrochen, nur ein Spiegelbild des Urbildes.
Die Menschen kultivieren dadurch ein Denken auf verschiedenen Seinsebenen. Sie können mit ihrem Bewusstsein zwischen den Ebenen hin-und herswitchen. In diesen Kulturen hat sich der Mensch immer heilige Zeiten, heilige Räume erschaffen. Im Ritual öffnet er das Heilige im Profanen, und wirkte darin auch zwischen Geist und Materie. Darin funktioniert die Welt nicht mehr kausal, sondern synchron. Im Ritual weisen materielle Objekte immer über sich selbst hinaus. Wie der Religionswissenschaftler Mircea Eliade schreibt: „Der heilige Stein, der heilige Baum werden nicht als Stein oder als Baum verehrt; sie werden verehrt, weil sie Hierophanien sind, weil sie etwas ‚zeigen’, was nicht mehr Stein oder Baum ist, sondern das Heilige, das Ganz andere [...] Indem ein beliebiger Gegenstand das Heilige offenbart, wird er zu etwas anderem und hört doch nicht auf, er selbst zu sein.“ Die Dinge sind nicht das eine oder das andere, sondern immer beides. Diese Gleichzeitigkeit der materiellen und geistig-seelischen Wirklichkeit, von innerer und äußerer Welt, Mikrokosmos und Makrokosmos ist immer selbstverständlich gegeben.
Sein & Wirken zwischen Geist und Materie
Heute leben wir fast ausschließlich im Profanen, der alltäglichen Wirklichenkeit. In der Raumzeit, im Tonal, wo alles nach kausal-mechanistischen Prinzipien abläuft. Den Sinn für die geistige Welt, die Welt der Ur-Sache, das Heilige des Lebens haben wir verloren. Wir existieren in einer vermeintlichen Trennung, fühlen uns abgetrennt vom Rest der Schöpfung, als Spielball der Welt, bedroht und ausgeliefert, weil unserer physischen Vergänglichkeit bewusst.
Doch sind wir nach wie vor eingewoben im Gewebe allen Lebens. Und es ist wiederum nach wie vor unsere ureigene, menschliche Fähigkeit zwischen dem Physischen und dem Geistigen zu agieren. Unsere Impulse aus dem Geistigen ins Physische zu bringen, zu manifestieren, zu materialisieren. Wir sind axis mundi, Weltenachse. Doch dazu müssen wir erst wieder lernen das Nagual, die Nicht-Form, den Zeitraum wieder wahrzunehmen. Wir müssen uns entschränken, das Gewebe der Form entdichten, damit wir wieder durchblicken können in das Dahinter, den Urgrund aller Dinge. Dann können wir darin auch wirken.
Ein Bewusstwerden dessen ist die Annahme unserer ureigenen Schöpferkraft wie auch unserer Selbstverantwortung. Wenn wir wieder die Fähigkeit entwickeln, in der Welt des Nagual, der Ur-Sache, zu ruhen, und von dort unsere kreativen Impulse zu ziehen, aber gleichzeitig in der Welt des Tonal, der Form und Materie verwurzelt sind, kommen wir in den wundervollen Fluss eines schöpferischen Lebens, eingebunden in alles was IST.
So wie Menschsein immer schon gedacht war.
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