Mircea Eliade beschreibt in seinem Buch 'Das Heilige und das Profane' zwei Zustände des In-der-Welt-Seins - das Heilige und das Profane - als zwei Positionen, die sich der Mensch im Kosmos erobert hat.
Während sich der Mensch in archaischen Gesellschaften sein Leben immer am starken Heiligen orientierte und ihm dadurch eine Ausrichtung verlieh, leben wir in unserer heutigen Zivilisation meist in einer homogenen Masse (sozusagen der bekannte 'Einheitsbrei') - in inneren und äußeren Räumen, die uns keinerlei Orientierung mehr geben oder unserem Dasein eine Bedeutung geben, die über sich selbst hinausweist.
Das Heilige
Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade beschreibt in seinem Buch 'Das Heilige und das Profane' zwei Zustände unseres menschlichen In-der-Welt-Seins: das Heilige und das Profane. Er beschreibt diese Zustände als zwei Positionen, die sich der Mensch im Kosmos erobert hat und durch dessen Brille er die Welt erfährt.
Im einen lebt und erfährt sich der Mensch als eingebunden in einen geheiligten Kosmos. Er erfährt das Heilige dabei als etwas, das sich immerwährend und in allem zeigt und manifestiert - sei es in Steinen, Bäumen, Flüssen, der Erde selbst. Diese verlieren dadurch natürlich nicht ihre physische Existenz. Doch weisen sie gleichermaßen darüber hinaus und in das Heilige hinein. So kann sich dem Menschen im Zustande des Heiligen der ganze Kosmos als Sakralität offenbaren.
Im anderen Zustand erfährt sich der Mensch als Teil einer völlig profanen Welt, die in keiner Weise mehr über sich selbst hinausweist. Dieser Zustand ist der, der heute unsere Zivilisation bestimmt und für uns zur Normalität geworden ist, zur einzigen Wirklichkeit erklärt wurde. Durch diese Entsakralisierung unseres Kosmos ist eine Erfahrung des Heiligen wie in archaischen Gesellschaften für einen Menschen in der profanen Welt immer weniger greifbar.
Inhomogenität des Raums
In archaischen Gesellschaften wurde Raum nie als homogen gesehen. Es gab es immer Risse und Brüche, die diesen strukturierten. Der Mensch differenzierte zwischen dem Raum, den er bewohnte, und dem unbekannten Raum, der diesen bekannten umgibt. Der eine Raum war die Ordnung, die geschaffene 'Welt', der Kosmos. Der übrige Raum war das Chaos, das Unbekannte, das Amporphe, in dem die Dämonen und Geister lauerten - eben der andere Raum.
Zwischen dem Kosmos und dem Chaos gab es eine klare Grenze. Und was das Chaos erst zum Kosmos machte, war ein symbolischer Schöpfungsakt, die rituelle Landnahme, in der 'unsere Welt' erst geschaffen wurde.
Das Sich-Situieren, Niederlassen an einem Ort, war bei Weitem nicht so profan wie es heute ist. Indem der Mensch den Schöpfungsakt, als einen urzeitlichen, göttlichen Akt der Ordnung wiederholte, erschuf er sich aus dem Chaos den Kosmos. Er baute sich seine eigene Welt und setzte sich selbst ins Zentrum davon.
Sich ausrichen am Starken
Diese Kosmogonie war die Handlung, die einen Ort zu einem heiligen Ort machte, der mit der Welt der Götter in Verbindung stand. Damit war der Wohnort heilig, essentiell, der er war ein imago mundi, ein Abbild der Welt, mit sich selbst als Zentrum dieser eigenen Welt.
Es war genau diese Inhomogenität des Raumes, dieser Bruch zwischen dem Heiligen und dem Profanen, der dem Menschen seine Ausrichtung verlieh. Der Mensch verlor sich damit nicht in der Homogenität, sondern bekam genau durch die Erfahrung und das Bewusstsein über die Inhomogenität eine Orientierung. Und er richtete sein ganzes Leben am Starken, am Heiligen aus. Wie Eliade schreibt: "die Offenbarung eines heiligen Raums gibt dem Menschen einen 'festen Punkt' und damit die Möglichkeit, sich in der chaotischen Homogenität zu orientieren, 'die Welt zu ergründen' und wirklich zu leben."
Der Mensch konnte nicht ohne diese Anbindung an das Größere, das Transzendentale leben. Sein Leben hätte jegliche Bedeutung verloren.
Homogene Zivilisation
Dieser Gegensatz zwischen dem Heiligen und dem Profanen ist in unserer heutigen Gesellschaft nur noch schwerlich erkennbar. In einer entsakralisierten Welt sind unsere äußeren und inneren Räume homogen geworden. Wir leben in unserem Alltag meist in einem Einheitsbrei, der keine Richtung, keine Orientierung mehr vorgibt, und in keiner Weise über sich selbst hinausweist - eine wirklich tiefere Bedeutung hat.
Der feste Punkt, das Heilige, an dem wir unser Leben ausrichten, ist ontologisch nicht mehr bestimmt, wie Eliade schreibt "er erscheint und verschwindet je nach den Erfordernissen des Tages. Es gibt also keine 'Welt' mehr, sondern nur noch Fragmente eines zerbrochenen Universums, eine amorphe Masse unendlich vieler mehr und weniger neutraler 'Orte', an denen der Mensch dich bewegt, getrieben von den Verpflichtungen des Lebens in einer industriellen Gesellschaft".
Äußere und innere Räume
So gilt also für unsere inneren Räume gleichermaßen, was für unsere äußeren Räume gilt. In der Entsakralisierung der äußeren Räume haben wir gleichermaßen unsere inneren Räume entsakralisiert. Wir sind so eingenommen von den Erwartungen und Verpflichtungen unseres täglichen Lebens, dass wir uns in ihrer Homogenität verlieren und keinen Moment der Dichte, der Essenz, mehr haben, der unser ganzes restliches Leben in einer bestimmten Art und Weise strukturiert und ihm eine tiefere Bedeutung verleiht.
Wir leben in einer Homogenität, in der unsere menschliche Existenz scheinbar keine Bedeutung mehr über die Materie hinaus hat.
Dein heiliger Raum
Wo ist für dich das Heilige, an dem du dein Leben ausrichtest, an dem du dich orientierst?
Wo ist in deinem Äußeren ein Raum, der für dich heilig ist (eine Kirche, ein Tempel, ein Kraftort, deine Wohnung)? Der über sich selbst hinausweit auf etwas Größeres? Wo gehst du über die Schwelle und betrittst damit für dich heiligen Boden?
Wo in deinem Leben sind Momente, Zeiten, die für dich heilig sind, und die den Rest deiner Zeit strukturieren?
Wo in deinem Inneren ist der Raum, das Terrain, das für dich heilig ist?
Wie kannst du noch mehr dieses Heiligen in dein Leben bringen? Wo vollziehst du einen bewussten Schöpfungsakt, der das Profane, Alltägliche, zum Heiligen transformiert?
Literatur:
Eliade, Mircea (1984) Das Heilige und das Profane. Insel Verlag: Frankfurt am Main.
Brönnle, Stefan (2010). Heiliger Raum. Sakrale Architektur und die Schaffung 'Heiliger Räumer' heute. Neue Erde: Saarbrücken.
Kirchhoff, Jochen (2019). Räume, Dimensionen, Weltenmodelle. Impulse für eine andere Naturwissenschaft. Edition Hagia Chora. 2. Auflage. Drachenverlag, Klein Jasedow.
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