Shekhinah, aus dem Hebräischen. Es ist die Präsenz des Göttlichen, die der Welt innewohnende Göttlichkeit. Und vor allem ist sie, wie Sophia, die personifizierte Weisheit Gottes, die weibliche Dimension Gottes in Schöpfung und Erleuchtung.
Im Oktober an der Ostsee bin ich zum ersten Mal dem Begriff Shekhinah begegnet, bei der Nachforschung zur Wandmalerei, über die ich kürzlich erst geschrieben hatte (siehe Der achte Tag & die Neue Erde). Ich fand schon allein das Wort und dessen Schwingung wunderschön, das Wesenhafte, den Klang als der es sich in die Materie formt. Und irgendwie schien es mir bedeutsam, für mich selbst, wie für diese Zeit. Darum hab ich wieder mal nachgeforscht.
Shekhinah, die Wohnstatt Gottes
Der Begriff Shekhinah (auch Schechina) kommt aus dem Hebräischen (שְׁכִינָה šəchīnāh) und bedeutet in der jüdischen Tradition so viel wie 'Einwohnung Gottes' oder 'Wohnstatt Gottes'. Weitere untergeordnete Bedeutungen des Wortes sind 'Heiligkeit', 'Ruhe' oder 'Frieden', eben das, was die Präsenz des Göttlichen mit sich bringt. Allein das hat mich schon berührt. Zum einen, weil Hebräisch, und ich mich gerade intensiv mit der Struktur der Bibel nach jüdischer Überlieferung beschäftige (siehe Weinreb, Schöpfung im Wort). Zum anderen, weil es mit seiner Bedeutung mal wieder sehr tief in meine eigenen Prozesse greift.
Herkunft und Etymologie
Das Substantiv Shekhinah kommt im Tanach, also der hebräischen Bibel, noch nicht vor. Wohl aber andere Worte mit dem gleichen Wortstamm. Interessanterweise, sind wir hier schon wieder beim Zelten. Und zwar im hebräischen schachan (שכן, 'wohnen', 'zelten') und mischkan (משכן, 'Wohnsitz', 'Stiftszelt'). Es nimmt Bezug auf die Zeit des Volkes Israel in der Wüste, wo auch hier das erste Heiligtum ein Zelt mit der Bundeslade war. Die Präsenz Gottes, der hier zwischen den Zelten wohnte, bevor Salomo den ersten festen Tempel erbaute. Wir erinnern uns, das Zelten und die Wüste hier nicht bildlich gemeint, sondern als Seinszustand des menschlichen Lebens auf Erden als noch nicht endgültig, noch nicht eingewohnt (siehe ebenso oben genannter Blogbeitrag). Hiermit etymologisch übrigens auch verwandt das Tabernakel im Christlichen. In der rabbinischen Literatur finden wir den Begriff Shekhinah bereits, auch hier mit Bezug zur göttlichen Macht verortet in Jerusalem. Im Islam gibt es den Begriff der Sakina als Gegenwart Allahs im glückseligen und friedlichen Seelenzustand.
Shekhinah als weibliches Konzept
Obwohl das hebräische Shekhinah von seiner Endung her ein weibliches Substantiv ist, wurde es erst im Werk Sefer ha-Bahir (12. Jhd. in Südfrankreich veröffentlicht) erstmals so verwendet. Hier bezeichnet Shekhinah spannenderweise die Frau, Braut und Tochter der männlichen Kraft, das Weibliche als Pendant zum Männlichen. Diese Deutung wurde von verschiedensten Vertretern der Kabbala übernommen. Sogar in manchen Deutungen als die unterdrückte weibliche Kraft, die es durch kabbalistische Rituale wieder mit dem Männlichen zu vereinigen gilt. Im chassidischen Judentum schließlich, das die göttliche Immanenz in der Welt annimmt, kann der Mensch sogar aktiv zur Erlösung beitragen, indem er die Funken der Shekhinah einsammelt. Wie schön ist das bitte.
Sophia, die weibliche Dimension Gottes
Die Christliche Mystik setzt in der Interpretation des kabbalistischen Lebensbaums die Shekhinah zum einen mit Malchut (hebr. das 'Gottesreich') gleich. Zum anderen mit Chokhma (hebr. die 'Weisheit') bzw. Sophia (griech.‚Weisheit‘). Die Gemeinschaft dieser Sophia bzw. Shekhinah als personifizierte Weisheit Gottes oder Jesu Christi und dem Menschen beschreibt Jakob Böhme als Erleuchtungserfahrung. Auch der Theologe Thomas Schipflinger, geistiger Vater des Marieheilgartens in Großgmain, verbindet in seinem Buch 'Sophia-Maria. Vision einer neuen Schöpfung' die katholische Lehre über Maria mit der russisch-orthodoxen Sophienlehre. Im Prospekt zum Marienheilgarten findet man erstaunlicherweise folgenden Text:
"Unsere Erde wird in der Bibel immer als schöpferische weibliche Kraft verstanden, als lebendiger Organismus (...). Die ganze Schöpfung ist beseelt und die Bibel spricht von Sophia, der personifizierten Weisheit Gottes und Weltseele, die in Maria Mensch geworden und als Mutter der ganzen Schöpfung Künderin eines neuen, ganzheitlichen Bewusstseins ist. Nur eine kosmische Religiosität, die die Welt als Geschöpf Gottes achtet, wird eine echte Erneuerung bringen. Ist die Welt der Leib und das Kleid dieser Weltseele, unserer Maria-Sophia, können wir uns auf der Erde geborgen fühlen."
Sophia bzw. Shekhinah sind hier also die weibliche Dimension Gottes in Schöpfung und Erleuchtung. Kosmisches Gleichgewicht.
Das Göttlich-Weibliche & die Neue Zeit
Nun ist mir auch klar, warum mich das Wort Shekhinah sofort etwas in mir berührt hat. Es ist genau das, was wir jetzt wieder für uns öffnen dürfen. Wir stehen an der Schwelle zu einer Neuen Zeit, wo wir Menschsein vielleicht zum ersten Mal so leben dürfen, wie Menschsein eigentlich gedacht ist. Der Mensch hat neben der körperlichen, tierischen Seele eine göttliche Seele, neschama. Die leben wir noch nicht annähernd. Unser Verhalten ist bis heute vom Körperlichen gesteuert. Instinkt, Macht, Kontrolle, Überleben. Jetzt ist die Zeit, wo sich die göttliche Ebene wieder in uns aufbauen darf, wir unsere neshamah, unsere göttliche Seele verkörpern dürfen.
Dazu gehört das Göttlich-Weibliche, angebunden an das Göttlich-Männliche, jedes an seinem Platz.
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